Die Bewegungen mehrerer, miteinander wechselwirkender Körper zu verstehen, gehört zu den zentralen Forschungsfragen in der Physik. Während zunächst das Verständnis der Bahnen von Himmelskörpern im Vordergrund stand, hat diese Fragestellung in quantenmechanischen Vielteilchensystemen, beispielsweise bei der Beschreibung von Elektronen in einem Festkörper, seine moderne Entsprechung gefunden. Physikern der Universität Heidelberg ist nun der erste Schritt auf einem neuen Weg zur Klärung solcher Zusammenhänge gelungen. In ihrem Experiment mit ultrakalten Lithiumatomen erzeugte die Gruppe um Prof. Dr. Selim Jochim vom Physikalischen Institut einen fundamentalen Baustein, der in Zukunft als Grundlage für die Untersuchung von Vielteilchensystemen dienen soll. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift ("Two Fermions in a Double Well: Exploring a Fundamental Building Block of the Hubbard Model") veröffentlicht und mit einer "Editor‘s Suggestion" ausgezeichnet. Quantendynamik zweier Teilchen in einem Doppeltopf. Bei attraktiver Wechselwirkung zwischen den Atomen bilden die Atome ein Paar, und tunneln gemeinsam von Topf zu Topf. Bei repulsiver Wechselwirkung meiden sich die Atome und befinden sich jeweils in einem eigenen Topf. Durch Verkippen der Töpfe können beide Atome im linken oder rechten Topf lokalisiert werden. Die Heidelberger Wissenschaftler bedienten sich hierbei einer, wie sie betonen, weltweit einzigartigen Methode, mit der sie kontrolliert Systeme aus wenigen Atomen in einer sogenannten optischen Falle erzeugen können. In den nun veröffentlichten Experimenten fügten die Physiker diesem System noch eine weitere solche Falle hinzu und erlaubten den Atomen, zwischen diesen beiden "Töpfen" hin und her zu tunneln. Bei der Untersuchung zweier Atome konnten dabei konkurrierende Effekte zwischen der Bewegung der Atome und ihrer gegenseitigen Wechselwirkung beobachtet werden. Ziehen sich die Atome an, so bilden sie bevorzugt ein Paar, wohingegen Abstossung dazu führt, dass jedes der Atome sich in einem eigenen Topf befindet. Dieser hohe Grad an Kontrolle über ein System aus zwei Atomen stimmt die Wissenschaftler optimistisch, in Zukunft auch grössere Systeme aus mehr Töpfen und Atomen präparieren zu können. "Uns ist es jetzt gelungen, gewissermassen einen ersten Lego-Stein zu produzieren, auf den künftig weitere Bausteine aufgesteckt werden können, um ein Vielteilchensystem zu erzeugen", erklärt Simon Murmann, einer der Doktoranden in der Arbeitsgruppe. "Das Aussergewöhnliche daran ist die in den aktuellen Experimenten demonstrierte Einstellbarkeit des Tunnelns und der Wechselwirkung der Atome, die erhebliche Konsequenzen für die Eigenschaften des Vielteilchensystems haben wird", ergänzt Selim Jochim. Von besonderem Interesse sind diese Arbeiten, da die an Atomen beobachtete Dynamik vergleichbar ist mit dem Verhalten von Elektronen, die in einem Festkörper von einem Gitterplatz zum nächsten tunneln. So gelang es den Wissenschaftlern, ihr System mithilfe eines Modells zu beschreiben, das ursprünglich für die Leitfähigkeit elektronischer Systeme entwickelt worden war. Diese Vorgehensweise, quantenmechanische Modelle durch experimentell kontrollierbare Systeme nachzustellen, ist als "Quantensimulation" bekannt und gilt als Schlüssel zur Lösung von quantenmechanischen Vielteilchenproblemen. Die grösste Herausforderung sehen die Heidelberger Physiker darin, auch in grossen Systemen jederzeit die Kontrolle über alle Atome zu behalten, um schliesslich exakte Messungen durchführen zu können. Mit diesen hoffen die Wissenschaftler zum Verständnis noch ungeklärter Effekte, wie beispielsweise der Hochtemperatursupraleitung, beitragen zu können.
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